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Tapfere Knirpse – Anna

Ich durfte ein zauberhaftes junges Mädchen kennenlernen, das vor vielen Jahren von Heute auf Morgen aus dem Leben gerissen wurde. Anna hat sich vor fast sieben Jahren im Kindergarten im Dachgerüst eines Spielhauses verkeilt und stranguliert. Kein Mensch kann sagen, wie lange Anna bewusstlos war. Seitdem liegt die Zehnjährige im Wachkoma, „apallisches Syndrom“ nennt der Mediziner diesen Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Und dabei ist der doch so viel komplexer. Den Ausfall von Sensorik, Motorik, Mimik beschreibt der Fachmann mit diesem sperrigen Begriff. Aber „Wachkoma“ ist nur ein Wort – und ein Wort reicht doch niemals aus, einen Menschen zu beschreiben!
Bevor wir mit dem Fotografieren begonnen haben, gab es für uns beide die Gelegenheit, uns überhaupt erst mal zu beschnuppern. Da liegt die süße Maus in ihrem Pflegebett, neugierig sind die Augen weit geöffnet. Ich erkläre ihr, was wir heute vorhaben und dass ich ein paar Ideen für tolle Fotos mitgebracht habe. Und plötzlich ist da ein Lächeln auf ihren Lippen. Das ist ein Lächeln, das nur mir gehört. Das fotografiere ich nicht. Das ist mein Geschenk von Anna an mich. Es wird nicht das einzige Lächeln des Nachmittags bleiben. Und auch Tränen wird es geben. Aber die Tapfere Knirpsin kämpft sich mutig durch den Nachmittag. Begleitet von Pfleger Mario gehe ich mit der Familie in den Schlosspark hinter dem Haus. Eine reizende Idylle empfängt uns dort. Und auch der Nieselregen wird weggelächelt. Ein roter Regenschirm hilft uns, die Motive aufzulockern und Leben ins Bild zu bringen. Denn das ist es, was ich in dieser Fotoserie einfangen will. Anna, die eigentlich aus dem Leben gerissen wurde, steckt mittendrin. Umgeben von vielen, ganz lieben Menschen ist sie in den Familienalltag integriert. „Anna schaut mit uns Fernsehen und murrt, wenn jemand im Weg steht. Da merkt man dann, dass sie ihren Dickschädel behalten hat, den sie vor dem Unfall gern zur Schau gestellt hat. Wir kochen sogar zusammen, indem ich ihre Hände führe und mit ihr gemeinsam schnipple. Das dauert zwar länger, aber das ist doch völlig egal, solange wir die kleine Maus mitten unter uns haben“, erzählt Anja, ihre Mutter. Der 16-jährige Bruder Phillip ist an der Herausforderung gewachsen, ein Leben mit einer Schwester zu führen, die auf 24 Stunden Pflege mit einem Profi-Team im Schichtrhythmus angewiesen ist. Der gut aussehende junge Mann nimmt seine Prinzessin in den Arm und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Da kullert eine Träne aus Annas Augenwinkel. Papa Michael kommt pünktlich vor Ende des Fotoshootings von der Arbeit nach Hause. Ein paar Gruppenbilder soll er schnell noch mitmachen, bevor wir die Anstrengung für Anna beenden wollen. Im Hausflur begrüßt er seine Tochter dann erst mal richtig mit einem Kuss. Annas Augen leuchten. Was für ein bescheuertes Wort: Wachkoma. Anna hat Grenzen. Aber Anna und ihre Familie haben gelernt mit diesen Grenzen zu leben. Sie tun das jeden Tag – mit viel Mut und viel Energie. Ich bin dankbar und tief berührt, dass ich diese tapfere Familie kennenlernen durfte.

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